Wenn einer alle aufhält, eine Frage der Kapazität
Folgende Situation ist Ihnen vielleicht bekannt: Obwohl Ihre Produktion ständig mit Überstunden und Mehraufwand arbeitet, werden Lieferzeiten Ihres Unternehmens oft nicht eingehalten. Grund hierfür können Engpässe in Ihrem Produktionssystem sein. Aber was sind Engpässe und warum führen diese zu derart gravierenden Problemen für das gesamte Unternehmen?
„Lieferverzug trotz Mehrarbeit – ist Ihnen das bekannt?“
Die Definition ist einfach: Wenn die Nachfrage die verfügbare Kapazität eines Ihrer Betriebsmittel überschreitet, dann liegt ein Engpass vor. Aber wieso wirken zum Beispiel einzelne Maschinen so negativ auf Ihr gesamtes Produktionssystem? Diese Frage lässt sich anschaulich mit dem bekannten Beispiel beantworten: Die Wanderung der Pfadfindergruppe.
Eine Pfadfindergruppe läuft auf einem schmalen Pfad in einer Reihe zum Pfadfindercamp. Nach kurzer Zeit zeigt sich, dass die Abstände zwischen den Kindern an manchen Stellen größer werden – an anderer Stelle scheinen die Kinder „aneinander zu kleben“.
Grund hierfür sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen sich die Kinder bewegen. Die Gruppe möchte als Einheit im Ziel ankommen, als Lösung dafür wird die Reihenfolge der Kinder geändert. Das langsamste Kind befindet sich jetzt an erster Stelle und legt somit die Geschwindigkeit für die gesamte Gruppe fest. Das Pfadfinderbeispiel lässt sich 1:1 auf unser Produktionssystem übertragen. Die Kapazität und somit der Durchsatz eines Engpasses definiert bezüglich der Engpassteile den Durchsatz für die gesamte Produktionssystem.
„Eine verlorene Stunde am Engpass bedeutet eine Stunde Verlust für das gesamte Produktionssystem“
Den Engpass in der Produktion erkennen
Deswegen muss das Produktionsprogramm primär auf die Kapazität des Engpasses, also dem Flaschenhals des Systems abgestimmt werden. Der Engpass sollte im übertragendem Sinne wie im Pfadfinderbeispiel an „die erste Stelle“ gesetzt werden.
Tun wir dies nicht und lasten zu viele Aufträge ins Produktionssystem ein, wird dies zu einem Stau und somit zu höheren Beständen und längeren Durchlaufzeiten führen – ähnlich wie die Kette der Pfadfinder, die immer länger wurde.
Deswegen ist es zunächst wichtig, den oder die Flaschenhälse in der Produktion zu identifizieren. Häufig sind Engpasse bereits bekannt, weil Lieferverzug und hohe Bestände nur bei Engpassprodukten auftreten. ERP-Systeme unterstützen heute bei der Engpassanalyse bzw. beim Identifizieren zu knapper Kapazitäten. Im Umfeld des Lean Production Management werden ebenso unterschiedliche Werkzeuge zur Identifikation von Engpässen bereitgestellt.
Ist ein Engpass identifiziert, stellt sich die Frage nach Maßnahmen zu dessen Beseitigung. Dieses Thema sollten unbedingt angegangen werden, denn die Kosten der Maßnahmen sind meistens deutlich geringer als die Kosten, die aufgrund des Engpasses entstehen. Wieso ist das so? Der Durchsatz des Engpasses bestimmt den Gesamtdurchsatz der Produktion – eine verlorene Stunde am Engpass hat eine Stunde Verlust für das gesamte Produktionssystem zur Folge. Die verlorene Arbeit kann nicht mehr aufgeholt werden. Somit wirken Verluste am Engpass direkt auf die Kosten des Gesamtsystems, die Kosten der Maßnahmen zur Beseitigung des Engpasses sollten im Verhältnis dazu nur einen Bruchteil ausmachen.
Möglichkeiten zur Beseitigung des Engpasses in der Produktion
Folgende Maßnahmen können genannt werden:
1. Stillstandszeiten vermeiden
- Anpassung des Schichtsystem der Engpässe, diese sollten rund um die Uhr arbeiten
- Pausenzeiten durch Springer überbrücken
- Zusätzliches Bedienpersonal einsetzen
- Beladezeiten reduzieren, z.B. durch das Beladen einer Maschine während der Bearbeitungszeit mit Hilfe eines Wechseltischs
2. Fremdvergabe/Outsourcing
- Auslagern von Arbeitsinhalten an Dienstleister oder andere Hersteller.
3. Alternative Betriebsmittel einsetzen
- Einsatz zum Beispiel alternativer Maschinen, Anlagen und Arbeitsplätze für Arbeitsinhalte der Engpässe. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Betriebsmittel nicht so effizient (schnell) wie die Engpässe arbeiten – es geht hier um die Erhöhung der Kapazität des gesamten Produktionssystems.
4. Ausschussteile bei der Produktion der Engpassteile reduzieren
- Prüf-Prozesse vor den Engpass legen, damit hier keine fehlerhaften Teile verarbeitet werden
- Engpassteile als solche kennzeichnen und ggf. mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen und größerer Sorgfalt handhaben
5. Nur Kundennachfrage bedienen
- Keine Lagerteile produzieren, nur den unmittelbare Bedarf der Kunden bearbeiten.
6. Anpassung der Losgrößen
- Zusammenlegen von Rüst- und Wartungsprozessen.
- Ggf. Losgröße an den Engpässen vergrößern, um Rüstzeiten zu minimieren.
Neben den Maßnahmen zur Erhöhung der Kapazität der Produktion gilt es, das Produktionsprogramm bzw. das Gesamtsystem auf die Kapazität der Engpässe abzustimmen. Dabei liegt die Hausforderung darin, gerade nicht zu viel oder nicht zu wenig Produktionsmenge in die Fertigung oder Montage einzulasten, um möglichst hohe Auslastung der Engpässe mit stetigem und ausgeglichenem Materialfluss mit geringen Beständen und insgesamt kurzen Durchlaufzeiten zu erzielen. Unterschiedliche Verfahren zur Produktionssteuerung im Rahmen des Produktionsmanagement zielen darauf ab – Engpass-Steuerung, ConWIP und Kanban sollen hier nur beispielhaft genannt werden.
Verwandte Themen:
- Wie wichtig ist die Durchlaufzeit in der Fabrikplanung?
- Wie Materialflussplanung hilft Logistik, Produktion und Lager zu optimieren
Verpassen Sie nichts mehr und abonnieren Sie unseren Blog:
Kein Problem, einfach für unsere Blog-News anmelden!